Christoph Wieprecht

Lebensdaten

 

15. 10. 1875:
geboren in Essen als Sohn eines Stahlarbeiters. Die Vorfahren stammen aus dem thüringischen Eichsfeld.

Besuch der Volksschule

1890 - 1927
Arbeiter in der Fried. Krupp Aktiengesellschaft in Essen, Anfangs als Abtrittsdesinfektor, dann als Laufbursche, Laborant, Eisendreher, zuletzt als Wohnungsaufseher.

1900
Heirat mit Katharina Burchhardt.

                         

                          Geburt der Kinder:
                          Georg (1901)
                          Christoph (1908)
                          Änne (1909)

Um 1910
Beginn der literarischen Tätigkeit mit Industrie-Gedichten wie "Martinwerk", "Bessemerwerk", "In der Geschoßpresserei".

1916/1918
Erste Veröffentlichungen ("Flammen", "Hammer und Schwert") in der christlichen Gewerkschaftsbewegung nahestehenden Verlagen: Sekretariat Sozialer Studentenarbeit, Volksvereins-Verlag, beide in Mönchengladbach
Mitglied im Christlichen Metallarbeiterverband.
Persönliche Bekanntschaft mit führenden Persönlichkeiten aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung:
Dr. Carl Sonnenschein, Georg Wieber, Jakob Kaiser, Mathias Föcher, Edmund Weinbrenner, Rudolf Vetter.
Seit der Schulzeit befreundet mit dem späteren Staatsminister Dr. Heinrich Hirtsiefer.

Um 1918
Kontakt zu den "Werkleuten auf Haus Nyland" (gegründet von Wilhelm Vershofen, Jakob Kneip, Josef Winckler).
Freundschaft mit Heinrich Lersch und Josef Winckler.
Veröffentlichungen in der Zeitschrift "Nyland" (1919)

Um 1924
Mitarbeit in der von Otto Wohlgemuth gegründeten Schriftstellervereinigung "Ruhrlandkreis". Veröffentlichungen im "Ruhrland-Almanach" (1. Jg., 1924)

1924
Erscheint der autobiographische Roman "Nachtgesang"

1927
Pensionierung wegen eines Nervenleidens

1933/1939
Veröffentlichung der Lyrikbände "Im wachsenden Erz" und "Werkgemeinschaft"

24.9.1942
Stirbt Christoph Wieprecht in Essen
Nach dem Krieg werden in Essen Katernberg und im Dortmunder Norden Straßen nach ihm benannt

 

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  "Vorüber ist die arbeitsreiche Nacht"

"Christoph Wieprecht war seiner eigenen Aussage zufolge zuerst Kruppianer, dann Abeiterdichter. Geboren wurde er am 15. Oktober 1875 auf dem Cronenberg, jener Kruppschen Arbeiterkolonie am Rande der Gußstahlfabrik, die die Leute in Essen-West Kohlenberg nannten. Da wohnten die armen Schlucker. Seine Eltern waren aus dem katholischen Eichsfeld westlich Erfurt gekommen. Vater Konrad (1835 bis 1902) schaffte als Hilfsarbeiter in der Kruppschen Federwerkstatt, Luise, die strenggläubige Mutter (1857 bis 1903), besorgte den Haushalt. Neun Kinder brachte sie zur Welt, von denen nur Christoph überlebte.

Doch seine Kindheit ist trostlos. Klein, zart, insichgekehrt, hat er kaum Freunde in der Kolonie. In der großen Fabrik nebenan knallen die Hämmer, rasseln die Kräne, glühende Schlacken spritzen, rauchen Fabrikschlote. Sieben Jahre besucht er die Volksschule, wo der Lehrer "gute Preußen" aus den Kindern machen will. Der Junge beginnt den Kohlenberg zu hassen. Die paar Bäume auf den Bleichplätzen vor den Häusern, Rasen, den er nicht betreten darf, das karge Leben zu Hause. Schon frühzeitig beginnt er, sich seinen Kummer von der Seele zu schreiben. Als Zehnjähriger verfaßt er sein erstes Gedicht. Das muffige Dahinleben wird ihm immer mehr zur Qual, er will lesen, Neues erfahren, um seelisch atmen zu können.

Mit zwölf bestellt er für seine Eltern die Tageszeitung. Bisher hatten sie nie eine besessen. Die häusliche und schulische Ausbildung ist äußerst bescheiden und eröffnet nur magere Wissensquellen. Mehrere seiner ehemaligen Mitschüler aus bessergestellten Familien - meist Söhne von Werkmeistern - tragen nun bunte Studentenmützen. Sein Wunsch, auch eine Realschule oder das Gymnasium zu besuchen, können die Eltern aus Geldmangel nicht erfüllen. Als Christoph Wieprecht 1889 die Kruppsche Simultanschule auf dem Kronenberg verläßt, ist er für die Verwirklichung seiner Träume denkbar bescheiden ausgebildet.

  60 Pfennige Lohn im Bierkeller

Um 1890 steuert die Wirtschaft des II. Kaiserreiches in eine Rezession. Arbeit wird knapp, und der junge Wieprecht ist froh, als er in einem Bierkeller für 60 Pfennige Tageslohn als Flaschenspühler Anstellung findet. Nach vier Tagen ist er seine Arbeit wieder los und beginnt eine Schusterlehre, die er nach rund sieben Monaten, als der Meister ihn zum ersten Mal verprügelt, abbricht. Schließlich kann er bei Krupp unterkommen, wo er laut Stammrolle am 24. Februar 1891 als "Laufbursche" eintritt.

Tatsächlich wird er zuerst - ausgerüstet mit Reiserbesen, Blechkanne und Chlorkalk - die Aborte der Werkbeamten reinigen und desinfizieren. Doch bald wendet sich sein Geschick; Ein Beamter ist auf ihn aufmerksam geworden und fordert ihn als Laborgehilfen an. Von den Kloaken erlöst, arbeitet er zwei Jahre im Chemischen Laboratorium I der Gußstahlfabrik.

Als 1893 sein Vater körperlich zusammenbricht und in Folge wieder eine schlechter bezahlte Arbeit als Hilfsarbeiter annehmen muß, wechselt Christoph am 24. April 1893 ins neu erbaute Preßwerk; in eine besser bezahlte Stelle als Preßgehilfe.

  Das erste Gedicht

Die schwere körperliche Arbeit setzt dem jungen Mann zu, aber er ist nun als Haupternährer der kleinen Familie in der Pflicht. Fortan zieht er glühende, zehn Pfund schwere Rohlinge aus dem Ofen, wirft sie dem Kumpel an der Presse zu. Ein Ruck, und unter wirbelndem Graphitstaub und grünlich sprühender Schlacke formt sich das Geschoß.

Allmählich lebt sich Christoph ein. Da wird er zum ersten Male zur Nachtschicht eingeteilt. Zwischen Pressen und Feuern stehend, beobachtet er die sinkende Sonne. Als sie nach vielen Stunden wieder aufgeht, scheinen ihm die Lampen und Ofenflammen vor ihrer Schönheit wie schwache Milchstraßengestirne. Ihn erfaßt eine "Zaubergewalt", und er schreibt, beobachtet von kopfschüttelnden Kameraden, sein erstes Gedicht:

 

 

" Preßwerk "


Vorüber ist die arbeitsreiche Nacht
Die durchgeschafft beim trüben Lampenlichte;
Ob ich ermüdet bin - was soll´s? Es lacht
Der Morgen ja im neuen Sonnenlichte.

 

  Alle vorherigen Niederschriften hatte er verbrannt; "Preßwerk" nicht. Fein säuberlich bringt er die vier Verse zu Hause mit Tinte in Reinschrift. Seine Eltern staunen und sind gerührt.

Für seine Kameraden aber wird er zum Sonderling. Will er sie für seine Verse gewinnen oder ihnen von seinem Lieblingsdichter Schiller erzählen, so lachen sie ihn aus. Die Fabrik - meint Christoph lakonisch - braucht keine Ästheten, sondern rohe Kraft. Doch er ist zäh.

1899 - inzwischen hat er seine spätere Frau Käthe Burchhardt kennengelernt - zieht er aus dem Haus seiner Eltern. Am 15. Mai 1900 heiratet er, Sohn Georg kommt am 28. Januar 1901 zur Welt. Knapp zwei Jahre später, am 28. November 1902, erscheint in der "Essener Volkszeitung" unter dem Pseudonym W. Christophorus anläßlich des Todes von Friedrich Alfred Krupp, das Gedicht "Dem Menschenfreunde": Laut Hinweis der Redaktion ist der Verfasser ein "Kruppscher Arbeiter aus dem Preßbau". Die Zeitung verrät ihren Lesern aber nicht den wahren Namen des Autors: Christoph Wieprecht.

1902 stirbt Vater Konrad, ein Jahr später Mutter Luise. Am 8. Oktober 1904 wird Sohn Christoph geboren, am 6. Oktober 1909 Tochter Anna Katharina (Änne), die sich an ihren "sehr guten Vater, an nette , liebe Eltern", noch heute gern erinnert.

Wieprecht muß hart arbeiten, um seine größer gewordene Familie zu ernähren. Trotzdem verliert er sein Ziel nicht aus den Augen: Heraus aus dem Preßwerk! Direkt an seine Arbeitskameraden gewandt, schreibt er:

 

" Grenzpfähle will ich rammen zwischen euch und mir,
Und wenn sie bis ans Herz der Erde gehen,
Ich bin kein willenloses Herdentier.
Laßt mich in Durst und Einsamkeit vergehen
Ein Hund bin ich, der an der Kette kreist
Doch einmal schlägt die Stunde, da sie reißt . . . "

 

  Wieprecht wird bekannt

Seit sich bei Krupp herumgesprochen hat, wer W. Christophorus wirklich ist, wird man auf den kleinen Preßgehilfen aufmerksam. Wieprecht selbst tut ebenfalls alles, um bekannter zu werden. Doch bis zu dem in ganz Deutschland geachteten Arbeitsdichter ist der Weg noch weit.

Zeitungen wollen seine Gedichte drucken, allerdings ohne Honorar. Beruflich kann er sich verbessern, wird Fräser in der Lafettenwerkstatt III. Ein Beamter vom Hügel besorgt eine größere Wohnung am Jahnplatz 20. Wieprecht fräst - und schreibt.

Er lernt den Journalisten Georg Wieber und Johanna Arntzen, auch den Arbeiterdichter Heinrich Lersch kennen. Sie schätzen seine Arbeit und ebnen ihm die Wege zu Zeitungen und Verlagen. "Werter Kollege!" - schreibt am 8. Oktober 1913 die Redaktion vom "Deutschen Metallarbeiter" in Duisburg - "für Dein Gedicht ,Dein Ziel´, erhältst Du den Betrag von 3 Mark."

Mit Hilfe seiner Freunde gelingt es Wieprecht, Beziehungen zu Organisationen der katholischen Arbeiterschaft zu entwickeln, die ihm in den zwanziger Jahren vorzüglich zustatten kommen werden. Zwei Tage nach Beginn des 1. Weltkrieges, am 3. August 1914, ehrt der katholische Arbeiterverein Essen-Altendorf 25 Jubilare mit der Jubelhymne aus Christoph Wieprechts Festspiel "Silberstrahlen", das bei dieser Gelegenheit zum ersten und letzten Mal aufgeführt wird.

Im Mai 1916 begegnete er durch Vermittlung Lerschs in Mönchengladbach dem katholischen Weltapostel und Verleger Dr. Carl Sonnenschein (1876 - 1926). Noch im selben Jahr erscheint in seinem Verlag Wieprechts erstes Gedichtbändchen "Flammen".

Durch den Versand signierter Freiexemplare versucht Wieprecht seinen Ruf als Arbeiterdichter zu festigen. Mit Erfolg. Am 23. Oktober 1917 fragt das Armee-Oberkommando der Armeeabteilung A am Jahnplatz an, ob es das Gedicht "Im Panzerwalzwerk" in der Feldzeitung "Der Stoßtrupp" veröffentlichen darf; gegen Honorar versteht sich.

Der Durchbruch gelingt dem "Sänger der Arbeit" - wie sich Wieprecht zuweilen selbst nennt - mit seinem zweiten Gedichtband "Hammer und Schwert" (40 Seiten), der 1918 erscheint.

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  Krupp hilft seinem Dichter

Wieprechts gute Vorarbeit in den oberen Etagen seiner Firma, bei den Krupps von Bohlen und Halbach auf dem Hügel und in der Öffentlichkeit zeigt Wirkung. Krupp stellt ihm offensichtlich immer mehr Zeit zur Verfügung, um seiner Passion, dem Schreiben und Dichten nachzugehen, und seine Werke vorzutragen. Und Wieprecht ist Vielschreiber. Es gibt eigentlich nichts, was er nicht beschreibt.

1918 wird Christoph Wieprecht auf allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs mit dem Preußischen Verdienstkreuz für Kriegshilfe ausgezeichnet. Und er feiert sein 25jähriges (damals zählen Kruppjahre erst vom 18. Lebensjahr an) bei Krupp. Auf der Feier am 23. Februar 1919 hält "Dreher" Wieprecht die Dankesrede im Namen der Jubilare.

Bertha Krupp von Bohlen und Halbach, der er sein zweites Buch "Hammer und Schwert" zugeeignet hat schreibt ihm: " . . . es sind Weisen, die von Pflicht und Arbeit singen; mögen sie gerade in heutigen Zeiten erhebend und mahnend viele Herzen bewegen." Auch seine künftigen Bücher finden Platz in der Hügel-Bibliothek.

Wenig später beziehen Wieprechts eine neue Wohnung im schönen Alfredsviertel südlich der heutigen Widia (Autobahn A 40). Wieprecht ist jetzt ganz Schriftsteller geworden. Der impulsive Heinrich Lersch nennt ihn einen "verbürgerlichten Proleten". Das neue Leben behagt ihm, dem lebendigen, aber in sich gekehrten Mann mit den großen braunen Augen.

1922 erscheint sein dritter Gedichtband "Erde" im Echo-Verlag, Duisburg. Scheinbar ist Wieprecht am Ziel seiner Träume. Er gewinnt Anschluß an den Bund der Werkleute vom Haus Nyland um Josef Winckler, einem Verleger aus Gelsenkirchen und Verfassers des "Tollen Bomberg", der die "dämonische Schönheit des Industriegebietes" entdeckt und damit eine ganz neue Note in die künstlerische Gestaltung rheinischer Landschaft einbringt. Lokale Prominente, Industrielle, Politiker und Journalisten, in deren Bekanntenkreis man normalerweise vergeblich nach einem Dreher sucht, zählen zu seinen Gönnern. Wieprechts Gedichte werden jahrelang in katholischen Schulbüchern für die 3. und 4. Klasse gedruckt.

 

  Im Zenit seines Schaffens

1924 bringt der Otto Schlinghoff-Verlag in Essen Wieprechts "Nachtgesang" heraus, einen biografieähnlichen Roman, der zu den lesenswerten Beispielen deutscher Arbeiterliteratur gehört. Wieprecht steht im Zenit seines Schaffens. Vortragsreisen, Einladungen, ein umfangreicher Schriftverkehr nehmen ihn, der nach zwölf Jahren in der Radsatzwerkstatt seit 1922 "Kruppscher Wohnungsaufseher" ist, hart in Anspruch. Dennoch schreibt er fast ununterbrochen, doch die Seelentiefe seiner frühen Gedichte fehlt diesen Werken.

1925, wahrscheinlich anläßlich seines 50. Geburtstages, ließt er zum ersten Mal im Rundfunk in Köln, viele weitere Lesungen an allen deutschen Rundfunkstationen folgen. Als Wieprecht 1927 im Eigenverlag den Heimatkalender "Die Ruhr" herausbringt, kostet ihn dieser Ausflug in kaufmännische Bereiche wahrscheinlich einen Teil seiner Ersparnisse. Im selben Jahr wird er nach 36 Jahren Krupp, wegen eines Nervenleidens Invalide. Fortan nennt er sich nur noch Schriftsteller. Er ist weiterhin gefragt. Erst die Wirtschaftskrise beendet die Reise- und Vortragskarriere. Dazu kommt am 14. April 1931 ein Verriß in der vielgelesenen "Weltbühne", die mit einer gewissen Berechtigung die "Arbeiterdichter" als "Nationaldichter der Schwerindustrie" hinstellt. Aus dem politischen Hin und Her jener Jahre versucht sich der alternde Mann herauszuhalten.

Als er am 12. September 1931 doch einer Einladung des SA-Sturmes 208 folgt und aus seinen Werken liest, berichtet anderntags die National-Zeitung: "Die Annahme trifft nicht zu, dieser Mann stände im Lager des Zentrums." In einem ganz gegen seine Gewohnheit schnörkellosen Brief an die NZ verbittet Wieprecht sich derartige Beurteilungen.

Glaubt man seinen zahlreichen Hilferufen, die er in dieser Zeit an Freunde, Bekannte, Politiker und einstige Gönner richtet, ist Schmalhans nun Küchenmeister in der Simsonstraße 10. 1932 erleidet er auch noch einen schweren Verkehrsunfall, der ihn fortan in seiner Bewegung stark behindert.

Erst nach der Machtübernahme Hitlers ändert sich Wieprechts Situation. Er, der sich mittlerweile in sein Gärtchen im Mühlbachtal zurückgezogen hat, um den es still geworden ist, wird plötzlich geradezu hofiert. Aber der alte Elan ist dahin. 1935 schreibt er noch ein Gedicht: "Ein Arbeiter an Adolf Hitler", das heute als Zeitdokment seinen Wert besitzt. Spiegelt es doch die Stimmung und Meinung all jener wider, die die Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Not zwischen 1921 und 1933 mit Schrecken durchlebt hatten. Wenige Wochen später, am 28. September 1935, steht er Hitler, der anläßlich seines Besuches der Gußstahlfabrik spontan eine Kruppsche Wohnsiedlung sehen will, sogar unversehens gegenüber. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach führt ihn ins Alfredsviertel und zu Christoph Wieprecht, den er als "unseren Arbeiterdichter" vorstellt. Zu seinem 60. Geburtstag ernennt ihn der Kruppsche Bildungsverein, dem er lange Jahre angehörte, zu seinem Ehrenmitglied. 1938 erscheint sein letzter Gedichtband "Werkgemeinschaft". Essener Schüler schreiben ihm, er solle ihnen daraus vorlesen. Als er erscheint, wollen sie nicht glauben, daß dieser nur 155 cm große Mann Schöpfer der "gewaltigen Verse" ist.

1942 - es war Krieg. Die Deutschen hatten im Osten Stalingrad erreicht, in Afrika marschierten Rommels Verbände auf Alexandria zu, im Westen gab´s nichts Neues. Engländer flogen die ersten schweren Luftangriffe auf Essen. Sobald Sirenen heulten, flüchteten auch im Alfredsviertel, der schönen Krupp-Siedlung im Essener Westen, die Menschen entsetzt in Keller und Bunker. Bis auf Christoph Wieprecht. Der winkte ab und sagte: "Mutter laß man, lang mach ich´s sowieso nicht mehr." Seit er die Ursache seiner ständigen Magenschmerzen kannte, hatte er jeden Lebensmut verloren und wartete apathisch auf seinen Tod. Er starb am 24. September 1942.

Vier Tage später wurde Christoph Wieprecht auf dem Ehrenfriedhof unter großer Anteilnahme von Freunden und Verehrern bei den Waldgräbern zur letzten Ruhe gebettet. Auf dem schlichten Grabstein stand: Arbeiterdichter Christoph Wieprecht 1875 - 1942. Die Inschrift wurde später in "Dichter der Arbeit" geändert.

Heute sind Wieprecht und sein Werk vergessen. Die Stadt ehrte ihren einst bekannten Sohn zwar noch nach dem zweiten Weltkrieg, indem sie einer kleinen Straße seinen Namen gab. Heute will sie nichts mehr von ihm wissen. Den Vorschlag, seine Grabstätte nach Ablauf der Ruhefrist zum Ehrengrab zu erklären, lehnte die Verwaltung ab. Ein Grund mehr sich seiner zu erinnern.

Wieprechts Bändchen und Bücher sind mittlerweile bibliophile Kostbarkeiten. Wer heute Christoph Wieprecht lesen möchte, sollte sich dafür Zeit nehmen. Der kleine Kruppianer wird es danken durch seine einzigartige, gereimte und ungereimte Zauberwelt der Worte, die er uns hinterlassen hat."

Dieser Artikel wurde von Raimund Lorenz in "Krupp Mitteilungen" Nr. 4/1992, (aus Anlaß des 50. Todestages von Christoph Wieprecht) geschrieben.

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